Eine Zeugin für die Zeitzeugin

Wie können wir Geschichte persönlich durch Zeitzeugen vermitteln und erfahrbar machen, wenn diese Menschen selbst irgendwann nicht mehr da sein werden? Wie können die Schülerinnen und Schüler einem Zeitzeugen begegnen, wenn er oder sie nicht vor Ort oder nicht erreichbar ist?

Eine Möglichkeit dafür konnte der Grundkurs Geschichte 13 von Herrn Deumlich am 22. Dezember 2015 erproben: Unter dem Motto ,Eine Begegnung mit Ágnes‘ besuchte die ehemalige MBOlerin, jetzige Sozialpädagogin und Filmemacherin Lea-Rosa Lambeck den Geschichtsunterricht. In einer Doppelstunde gab sie den Schülern einen Einblick in ein Zeitzeugenprojekt, an dem sie selbst als Jugendliche teilgenommen hat, und zeigte den dabei erarbeiteten Film „Ágnes: Wir müssen uns öffnen, damit etwas bleibt“ (DE, Bauer/Lambeck, 2004).

IMG_0200Frau Lambeck ist 2002 über das Ökumenische Zentrum Spandau gemeinsam mit einer Gruppe Jugendlicher nach Budapest gereist, um dort die ungarische Jüdin und ehemalige Zwangsarbeiterin Ágnes Bartha zu treffen.

Ágnes wurde als junge Frau aus Ungarn in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Dabei erlebte sie nicht nur Unsagbares, sondern fand auch eine gute Freundin, mit der sie die Strapazen gemeinsam überstand.

Der Film zeigt die Begegnung der Jugendlichen mit Ágnes. Gemeinsam fahren sie den Weg entlang der Donau zu einzelnen Orten der Verschleppung. Dort teilt Ágnes ihre Erinnerung und ihre damaligen und heutigen Gefühle. Ergänzend wird die Reise von Lea-Rosa Lambeck beschrieben. In ihren Off-Kommentaren berichtet die damals 14-Jährige davon, wie es für sie gewesen ist, die Lebensgeschichte von Ágnes persönlich zu erfahren.

Diesen Eindruck vermittelte Frau Lambeck vertiefend im anschließenden Unterrichtsgespräch. Da sie intensiv mit Ágnes zusammengearbeitet hat und weiterhin mit ihr in Kontakt ist, konnte sie von Ágnes Gefühlslage berichten und beschrieb, wie Ágnes‘ positive Einstellung ihr eigenes Leben bis heute prägt.

Auch den Grundkursschülern blieb vor allem Ágnes‘ lebensbejahende und zuversichtliche Art in Erinnerung. Trotz der schrecklichen Erlebnisse ist Ágnes fröhlich und wirbt für Versöhnung. Viele der Schüler waren von dieser positiven Haltung berührt und brachten ihre Anerkennung in einem gemeinsamen Brief an Ágnes zum Ausdruck.

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Obwohl ‚nur’ Lea-Rosa Lambeck persönlich im Unterricht war, konnten die Schüler die Sicht einer Zeitzeugin erleben. Durch ihren Film und ihre Bereitschaft zum Gespräch ermöglichte Frau Lambeck eine besondere multimediale und interaktive Begegnung mit Ágnes.

Eine Zeugin für die Zeitzeugin? Wer weiß, vielleicht wird dieses Modell die Zukunft der Zeitzeugenbegegnung im Unterricht.

Lambeck, Lea-Rosa / Deumlich, Knut (2016)